Stellungnahmen
Kommentar zum Vorhaben der Bundesministerin für Arbeit, ein Gesetz zur Tarifeinheit zu schaffen - von D. Lutz
Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
„Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden“.
Die Problematik:
Die Bundesregierung unter Federführung der Bundesministerin für Arbeit plant ein Gesetz zur Tarifeinheit noch im November 2014. Zitat aus der Tagesschau vom 17.10.2014 „Gegen die Macht von GDL und Co“. Dieses Zitat beschreibt deutlich, um was es der Ministerin geht. Frau Nahles steht fernab jedem Verdacht, ein Herz für freie und unabhängige Gewerkschaften zu haben (ehemaliger DGB-Vorsitzender Freitag: "SPD und DGB sind Kinder einer Mutter").
In der jüngeren Vergangenheit haben sich in Deutschland zunehmend sogenannte Spartengewerkschaften gegründet. Herausragend dabei zu nennen, der Marburger Bund, die Vereinigung Cockpit und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Letztere allerdings als „Emporkömmling“ der jüngsten Entwicklungen sehen zu wollen, wäre grundlegend falsch. Die GDL war seit vielen Jahren, als Mitglied des Deutschen Beamtenbundes, an Tarifverhandlungen beteiligt. In früheren Jahren in der Tarifgemeinschaft der GdBA, CGDE, GDL Mittlerweile hat die GdBA mit Transnet fusioniert und insofern sind die GDL und die CGDE die einzigen verbliebenen freien Gewerkschaften bei der Bahn, neben der DGB-Organisation EVG.
Spartengewerkschaften sind nicht vom Himmel gefallen. Sie sind das Ergebnis der Vernachlässigung bestimmter Berufsgruppen durch die sogenannten Einheitsgewerkschaften. Angestellte Ärzte, Piloten und Flugpersonal, Lokomotivführer und andere fühlten sich längst nicht mehr ausreichend vertreten. Insofern war es eine logische Folge, dass diese Berufsgruppen ihr Schicksal selbst in die Hand nahmen. Wer der Ansicht sein mag, dass eine Horde wild gewordener Funktionäre hier ein Wirtschaftschaos produzieren möchte, der irrt. Kein noch so wild gewordener Funktionär könnte alleine streiken!
Der gewerkschaftliche Organisationsgrad in Deutschland ist derart gesunken, dass selbst die Hans Böckler Stiftung feststellt. In Zahlen: Im Jahr 2010 wurden in ganz Deutschland gerade noch 33 Prozent der Betriebe und 60 Prozent der Beschäftigten durch einen Tarifvertrag erfasst. Im Kernbereich der Flächentarifverträge ist die Tarifbindung noch ein paar Prozentpunkte niedriger: Die bundesweiten oder regionalen Branchentarifverträge gelten noch für die Hälfte der Beschäftigten (52 Prozent) und für weniger als ein Drittel der Betriebe (30 Prozent) ( Zitat: Mitbestimmung, Hans-Böckler-Stiftung 7 und 8 2011). Er dürfte bei ca. 20 Prozent liegen, d.h. Nur noch jede fünfte Arbeitnehmerin, jeder fünfte Arbeitnehmer ist gewerkschaftlich organisiert. Hier sind die Spartengewerkschaften mitgerechnet.
Ohne Christliche Gewerkschaften, Beamtenbund und Spartengewerkschaften sähe der Organisationsgrad noch wesentlich problematischer aus.
Die Tarifeinheit
Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat sich der vom Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts im Anfragebeschluss vom 27. Januar 2010 dargelegten Rechtsauffassung zur Tarifeinheit (vgl. Pressemitteilung Nr. 9/10) angeschlossen. Auch nach Auffassung des Zehnten Senats gelten die Rechtsnormen eines Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, für Beschäftigte kraft Koalitionsmitgliedschaft nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar. Dies wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass für den Betrieb kraft Tarifbindung des Arbeitgebers (Verbandsmitgliedschaft oder eigener Abschluss des Tarifvertrags) mehr als ein Tarifvertrag Anwendung findet, wenn für den einzelnen Arbeitnehmer jeweils nur ein Tarifvertrag gilt (sog. Tarifpluralität). Es gibt keinen übergeordneten Grundsatz, dass für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen können. (Pressemitteilung des BAG vom 27.01.2010).
Damit hat das höchste deutsche Arbeitsgericht im Grunde alles gesagt. Eine weitergehende Regelung durch den Gesetzgeber würde sowohl die Rechtsprechung des BAG konterkarieren, als auch gegen den Artikel 9 Abs. 3 GG verstoßen. Es kann nicht sein, dass der Gesetzgeber dann tätig wird, wenn bestimmte Gewerkschaften durch eklatante Schwäche auffallen und nicht in der Lage sind, andere Regelungen zu vereinbaren, als diese durch eine Spartengewerkschaft vereinbart werden.
Grundsätzlich sind die Tarifvertragsparteien frei in der Möglichkeit, Tarifverträge abzuschließen. Schließen sie einen „schlechten“ Vertrag ab, riskieren sie die Abstimmung ihrer Mitglieder „mit den Füßen“. Das bedeutet, einer Gewerkschaft laufen die Mitglieder weg. Im Grunde spricht auch nichts gegen die Geltung von mehr als einem Tarifvertrag in einem Betrieb oder Unternehmen. Es gibt keine Tarifeinheit vom den Alpen bis zur Küste, nicht einmal innerhalb einer Branche.
Das Gesetz
Der Düsseldorfer Ökonom und frühere Vorsitzende der Monopolkommission, Justus Haucap, hält es für falsch, dass Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) Anfang November ein Gesetz zur Tarifeinheit vorlegen will, das den Einfluss kleinerer Spartengewerkschaften zurückdrängen dürfte. „Von einem schnellen Entwurf für ein Gesetz zur Tarifeinheit ist abzuraten. Die Koalitionsfreiheit ist grundgesetzlich geschützt - und zwar im positiven wir im negativen Sinne“, sagte Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).
„Das bedeutet, dass jeder das Recht hat, einer Gewerkschaft auch fernzubleiben und für sich selbst zu verhandeln oder eine andere Gewerkschaft zu gründen. Kleinen Gewerkschaften, die nachweislich tariffähig sind, jetzt indirekt das Verhandlungsrecht abzusprechen, wird mit dem Grundgesetz in Konflikt geraten.“ Besser wäre aus Sicht Haucaps eine Anpassung des Streikrechts, das in jüngster Zeit durch die Rechtsprechung erheblich ausgedehnt worden sei. Ich unterstütze den Vorstoß des Bonner Arbeitsrechtlers Gregor Thüsing, für Gewerkschaften in Versorgungsbranchen wie etwa Verkehr und Gesundheit die Regeln für Warnstreiks restriktiver zu handhaben. „Einem Streik sollte hier zwingend ein Schlichtungsverfahren vorgeschaltet werden“, sagte Haucap. „Zudem sollten die Streiks mindestens vier Tage vorher angekündigt werden, um unbeteiligte Dritte – also die Passagiere – nicht übermäßig zu belasten.“ (Quelle: Handelsblatt online 17.10.2014)
Absolut fragwürdig ist es, wenn Nahles einen Tarifvertrag an den reinen Mitgliederzahlen festmachen will. Nehmen wir an, Gewerkschaft X schließt für eine Berufsgruppe in einem Unternehmen einen Tarifvertrag ab. Gewerkschaft Y hat in dieser Berufsgruppe so gut wie keine, im Unternehmen insgesamt aber mehr Mitglieder. Nun greift der Staat ein und erklärt den Tarifvertrag X für unwirksam, belohnt alsdann das Versagen der Gewerkschaft Y in besagter Berufsgruppe damit, dass er alleine wegen der höheren Mitgliederzahl deren vertrag für wirksam erklärt. Dies ist nachdrücklich abzulehnen!
Wie werden Mitgliederzahlen festgestellt? Soll Gewerkschaft X nach dem Abschluss des Vertrages ihre Mitgliederzahlen, notariell beglaubigt, nachweisen? Gewerkschaft Y darf ihre Zahlen dann behaupten? Bereits heute ist es so, dass von konkurrierenden Gewerkschaften verlangt wird, ihre Strukturen offen zu legen, während man dem DGB einfach glaubt.
Man wird einsehen müssen, dass dies so nicht gehen kann. Die Frage an den Beschäftigten, nach Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft, ist dem Arbeitgeber nicht erlaubt. Soll sich dies in Zukunft ändern? Auch das kann nicht so stehen bleiben!
Schließlich kann es dem Gesetzgeber nicht erlaubt werden, einen frei ausgehandelten Tarifvertrag für ungültig zu erklären. Das BAG hat bisher stets auf Inhaltskontrolle verzichtet und den Abschluss von Tarifverträge als solchen zugunsten der Tariffähigkeit von Gewerkschaften gewertet. Wollen die „großen Gewerkschaften“ wirklich, dass in Zukunft ihre Tarifverträge nur auf Grund des Eingriffs eines Gesetzes gelten?
Ausweg
Grundsätzlich ist ein sogenanntes Tarifeinheitsgesetz abzulehnen. Niemand macht einen Hehl daraus, dass dieses Gesetz sich ausschließlich gegen Spartengewerkschaften richtet. Während des letzten großen Streikes in der Metall-und Elektroindustrie 1984 hat niemand über eine gesetzliche Regelung zur Begrenzung wirtschaftlicher Schäden nachgedacht. Ein solches Gesetz hätte erhebliche Auswirkungen auf die Tariffähigkeit und damit das schlichte Existenzrecht von freien Gewerkschaften. Es könnte, legt man die Rechtsprechung des BAG zur Tariffähigkeit von Gewerkschaften zu Grunde, das Ende freier und unabhängiger Gewerkschaften bedeuten.
Vorstellbar wäre es allerdings, wenn das Streikrecht dahingehend ergänzt würde, dass die Schlichtung grundsätzlich vorgeschaltet wird. Wenn man davon ausgeht, dass es problematisch ist, wenn bestimmte Berufsgruppen ganze Bereiche lahmlegen können, dann ist es mindestens so problematisch, wegen diesen Berufsgruppen freiheitliche Prinzipien zu verändern. Die Organisationsfreiheit, der freie Wille der Arbeitnehmer/innen und der frei ausgehandelte Tarifvertrag bleiben oberstes Prinzip der demokratischen Grundordnung!
Gedruckt am 04.12.2024 22:23.