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Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs Weniger Arbeitnehmerschutz bei Massenentlassungen?

Der Sachverhalt: Grundlage des Verfahrens war die Massenentlassung in einem Unternehmen in Niedersachsen, das 2019 in Insolvenz ging. Der Kläger war dort 18 Jahre als Schweißer tätig gewesen, bis der Betrieb in wirtschaftliche Schieflage geriet. Der eingesetzte Insolvenzverwalter kam zu dem Entschluss, dass eine Massenentlassung unvermeidbar sei und eingeleitet werden muss. Wie gesetzlich vorgeschrieben, informierte der Insolvenzverwalter hierüber den Betriebsrat. Aber auch der Betriebsrat sah keine Möglichkeit, die Entlassungen zu verhindern. Eine Kopie der an den Betriebsrat gegebenen Informationen muss der Arbeitgeber bei einer Massenentlassung der örtlichen Arbeitsagentur übermitteln. Dies hatte der Insolvenzverwalter jedoch versäumt. Der Kläger, der durch die Insolvenz seinen Job verloren hatte, nahm dies zum Anlass, Kündigungsschutzklage zu erheben. Er argumentierte, seine Kündigung sei wegen der nicht erfolgten Information der Arbeitsagentur unwirksam.

Die Entscheidung des EUGH: Der EuGH folgte nicht der Argumentation des Arbeitnehmers. Er urteilte, dass der Verstoß gegen die vorgeschriebene Informationspflicht gegenüber der Arbeitsagentur nicht zu einer Unwirksamkeit der Kündigung führe. Die schriftliche Information der Arbeitsagentur diene nicht dazu, den betroffenen Arbeitnehmern einen individuellen Schutz zu gewähren. Sinn der Information sei vielmehr, dass sich die Behörde auf anstehende Entlassungen und deren Konsequenzen (Weiterqualifikation der Arbeitnehmer*innen etc.) vorbereiten kann. Das bedeutet, dass die versäumte Mitteilung an die Arbeitsagentur keine Auswirkung auf die einzelnen ausgesprochenen Kündigungen hat. Nun muss das Bundesarbeitsgericht in dem zugrunde liegenden Fall zu einem abschließenden Urteil gelangen.

Konsequenz für die Praxis: Ob das Urteil des EUGH generell weniger Arbeitnehmerschutz bei Massenentlassungen bedeutet, ist offen. Denn nun liegt die Entscheidung wieder beim BAG. Das Urteil des EUGH betrifft zunächst nur die Rechtsfolge bei Verstoß gegen die Übermittlungspflicht nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG. Offen ist, wie im Übrigen mit Verstößen gegen das Konsultationsverfahren und die Anzeigepflicht bei Massenentlassungen umzugehen ist. Es ist möglich, dass das BAG von seiner bisherigen Rechtsprechung, nämlich einer Unwirksamkeit der Einzelkündigungen bei Fehlern bei der Massenentlassungsanzeige, abkehrt und seine Rechtsprechung nach diesem Urteil anpasst.

Quelle: Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 13.Juli 2023, (Az.: C – 134/22), BAG 6 AZR 157/22

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Gedruckt am 03.07.2024 5:41.